Ein einziger Shift deiner Gedanken – mit spürbaren Folgen für dein Selbstwertgefühl
Das Hochstapler-Phänomen. Kennst du das auch? Du arbeitest an einem Projekt, du unterhältst dich mit Kolleg*innen, machst einfach dein Ding… aber du bist nicht allein. Die ganze Zeit kriecht dir jemand mit kalten langen Fingern deinen Rücken hoch, bis sie dir wieder im Nacken sitzt und unangenehm kalt deinen Haaransatz anatmet und dir eine Gänsehaut den Rücken hinabfahren lässt: Die lähmende Angst, verkleidet als niederdrückende Gewissheit, dass du eigentlich gar nicht so gut bist, wie du allen weiß gemacht hast. Nicht mal halb so gut! Nein, diese dir im Nacken lauernde Furcht flüstert dir immer wieder ins Ohr, dass du dich hüten sollst, vor dem Moment, da alles auffliegt: Weil du in Wahrheit gar keine Ahnung hast, von dem, was du da tust. Weil eigentlich alles ein riesiges Missverständnis ist, du weder gebildet noch erfahren noch clever genug bist für diese Aufgabe. Denn du bist eine Hochstaplerin. Eine, die gar nicht hier sein sollte, zwischen all diesen fähigen Menschen, die, im Gegensatz zu dir, wirklich wissen, was sie tun. Und wenn diese Wahrheit ans Licht kommt… nun, dann bist du am Arsch.
Hast du dich auch schon einmal wie eine Hochstaplerin gefühlt?
Frauen berichten besonders häufig von diesem Phänomen, auch Impostor-Syndrom genannt. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen allerdings: Vom Hochstapler-Syndrom sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen – 70 Prozent aller Menschen bestätigen, sich mindestens einmal bereits so gefühlt zu haben. Zugrunde liegen unter Anderem die Angst vorm Scheitern, die Angst vorm Erfolg, niedriges Selbstwertgefühl und Unsicherheit. Damit kann das Hochstapler-Phänomen drastische Folgen für den Verlauf der Karriere haben, denn es senkt die Wahrscheinlichkeit der aktiven Karriereplanung, das Streben nach einer besseren Stelle und die Motivation, Führungsverantwortung zu übernehmen.
Frauen berichten häufig über das Hochstapler-Phänomen im Beruf
Das liegt sicher zum Einen an unserer Prägung (gesellschaftlich und durch unsere Erziehung), sich als Mädchen immer bescheiden und genügsam zu geben – niemals etwa zu prahlen oder zu laut zu sein. Zu den weiblichen Tugenden, die uns in Filmen, Büchern und von Vorbildern vor den Latz geknallt wurden (und werden) zählten doch immer noch eher Demut, Fleiß, Schönheit – und eher die Sekretärin, als die CEO zu sein.
Zum Anderen liegt die Entwicklung zum gefühlten Hochstapler*innentum auch an der Prägung, dass wertvolles Tun nur ein undankbares Unterfangen sein kann. Dass Arbeit eine Plackerei zu sein habe – stressig, anstrengend und auslaugend. Gute Leistung scheint in unserer Gesellschaft vor allem dann wertvoll, wenn ein steiniger Weg zum Erfolg geführt hat – je unwirtlicher und steiniger desto besser. Paradoxerweise wäre das gleiche Ergebnis oft wesentlich weniger wert, wenn es ein leichtes, freudvolles Unterfangen gewesen wäre.
Mit diesem Bild verbauen wir uns jede Chance, Spaß bei der Arbeit zu empfinden – oder überhaupt erst zu erlauben. Und machen uns dazu auch noch krank und unglücklich, wenn wir suchen Erfolg, der auf einem Fundament aus Stress und durchgearbeiteten Nächten gebaut ist. Das riecht nicht nur nach Burnout, es schmeckt auch so. Und dieses Leid erheben wir zum ultimativen Leistungsmerkmal – Burnout zur ehrwürdigen Kriegsverletzung. Kurzum: Wir streben das edle Märtyrertum an.
Märtyrer*in versus Schlitzohr*in
Warum wollen wir alle Märtyrer sein, edel leiden und dabei unglücklich sein? Ein seltsamer Standard, den wir da etabliert haben und dem wir pflichtschuldigst nacheifern. Klar, auch ich merke, wie ich diesem Maßstab hinterher eifere. Wie ich verinnerlicht habe, dass der Mitarbeitende, der am längsten im Büro hockt, wohl auch der Fleißigste ist.
Und wie oft habe ich mich schon über die geärgert, die sich scheinbar immer irgendwie durchwieseln, mit dem Nötigsten durchkommen und einfach ihre Sache gut genug machen. (Wie können sie es wagen, sich dem Ideal zu widersetzen und das System zu umgehen?!) Aber eigentlich sind genau diese Menschen die eigentlichen Genies: Sie haben sich für den Weg des Schlitzohrs entschieden. Ein Weg, den ich dir (und mir) nur ans Herz legen kann.
Im Gegensatz zur angehenden Märtyrerin, die mit grimmiger Miene ihre erhobene Faust dem Sturm des zermürbenden Alltags entgegen reckt, zieht die Schlitzohrin nur kurz eine Augenbraue nach oben, funktioniert mit zwei Handgriffen ihren Mantel zum Regenschirm um und springt lachend in die erste Pfütze. Wo die Märtyrerin leidvoll seufzend die Stirn runzelt, blitzen der Schlitzohrin die Augen und die ersten verrückten Ideen durch den Kopf. Für die Schlitzohrin ist alles ein Spiel, eine kreative Herausforderung, ein spannender Zeitvertreib. Etwas schwer zu nehmen käme ihr gar nicht in den Sinn, das Gemüt der Schlitzohrin ist von frecher Direktheit und Leichtigkeit geprägt.
Wenn es keine Abkürzung zu einem Ziel gibt, macht sie einfach eine. Das bedeutet nicht etwa, dass sie ihre Aufgaben nicht ordentlich und korrekt abliefert. Es bedeutet aber, dass sie auf dem Weg zu ihrem Ziel einen Heidenspaß hat, unterwegs Neues lernt und sicher keine Sekunde an unnötigen Schnörkeln verschwendet, die keinen Beitrag zur Funktionalität des Ergebnisses beitragen. Sie widersetzt sich einfach und mühelos der Pflichtschuldigkeit, Leiden zu müssen. Sie kämpft nicht gegen dieses Konzept an – sie hat schlicht entschieden, mehr Spaß bei ihren Unternehmungen haben zu wollen und so macht sie sich ihre eigenen Regeln und kann beim Anblick ihrer grimmigen Mitstreiter nur mitfühlend schmunzeln.
Was ist mit dir?
Ob du lieber eine Märtyrerin oder eine Schlitzohrin sein möchtest – diese Entscheidung liegt ganz allein bei dir. Zu erkennen, dass die Maßstäbe und Normen an denen wir unser Tun ausrichten willkürlich und menschengemacht sind, ist ein wichtiger erster Schritt. Er gibt dir die Freiheit, entscheiden zu können, wie dein Weg aussehen soll. Es ist alles eine Frage deiner eigenen Haltung. Und sobald du diese verändert und verinnerlicht hast, kann sie dir keiner mehr nehmen.
Was hat das alles mit Selbstliebe zu tun?
Denk mal an eine Person, die dir sehr viel bedeutet. Möchtest du, dass diese Person leidet? Bestimmt nicht, oder? Stell dir mal vor, DU wärst diese Person, die dir besonders wichtig ist. Auch du sollst nicht leiden. Du sollst nicht unter den erdrückenden Maßstäben und deiner hohen Erwartungshaltung zerbrechen – du sollst nicht leiden. Keine Sekunde sollst du leiden müssen – sondern die Freiheit haben, dich für Glück entscheiden zu können. Selbstliebe ist hier die Grundlage, dich für ein Leben als Schlitzohrin zu entscheiden. Oder ein anderes Lebensformat – solange es kein Märtyrertum ist 😉
Welche Erfahrungen hast du mit dem Hochstapler-Syndrom gemacht? Hast du schon einmal deine innere Schlitzohrin herausgelassen? Erzähl mir davon! Schreib mir deine Geschichte in die Kommentare.
Und wenn du dir eine liebevolle Begleitung wünschst, um dein Hochstapler-Syndrom anzugehen – melde dich gerne bei mir.
Ein Hoch auf alle Schlitzohrinnen und die, die es gerne noch werden möchten!
Alles Liebe,
deine Angie.
Hallo Angie,
ich glaube, dass jeder von uns ein Schlitzohr aus seinem beruflichen Leben kennt. Aber wann sollte man seinen eigenen „Prinzipien treu bleiben“ und wann nicht? Ich glaube, dass das die schwierigste Frage ist, die wir uns alle stellen wenn wir entscheiden können, ob wir Schlitzohr oder Märtyrer*in sein möchten. Schlussendlich möchten wir uns ungerne „verbiegen“, das kenn ich nur zu gut aus meinem eigenen Leben.
Dein Beitrag hilft mir einmal darüber nachzudenken. Danke!
Hallo Oliver,
danke für deine Gedanken! Unseren Prinzipien und Werten treu zu bleiben finde ich fundamental wichtig – denn diese (dauerhaft) zu verletzen macht viele Menschen krank. Ich glaube: seinen Prinzipien treu zu bleiben und ein Schlitzohr zu sein, schließt sich gar nicht aus. Den Unterschied macht für mich eher die innere Haltung: Darf es mir leichter fallen – oder muss es weh tun und anstrengend sein?
Oft haben wir Verknüpfungen im Unterbewusstsein, die gar nicht hilfreich sind. Ein stark simplifiziertes Beispiel: Es ist mir wichtig, fleißig zu sein. Mein Glaubenssatz dazu: Fleißig sein heißt, ich muss 8 Stunden im Büro sitzen und dabei auch möglichst gestresst sein mit vielen Terminen und Aufgaben und Deadlines.
In diesem Fall müsste ich den Märtyrer-Weg gehen, um dein Wert zu erfüllen…. die Frage ist – lässt sich der Wert auch ander erfüllen? Ohne, dass ich dabei leide?
Solche Ausflüge in unser Geflecht aus Glaubenssätzen und Vorannahmen kann ganz schön aufschlussreich sein 🙂